Über mir die Sonne
Der eine Sommer im Leben, der alles verändert: Es ist heiß auf Pantelleria, flirrend heiß, und der letzte Sturm hat die Quallen in die Bucht getrieben, wo Tina sie jetzt eine nach der anderen aus dem Wasser fischt und auf den Beton wirft. Es ist der erste Sommer ohne den Vater. Die Mutter ist nach der Trennung mit ihren beiden Töchtern alleine auf die Insel gefahren. Zwischen Rosmarin und Kapernblüten, salziger Haut und sonnenverbrannten Gesichtern, glitzerndem Wasser und felsigen Buchten erleben Tina und ihre Schwester die Fatalität des Erwachsenseins. Alessio Torino erzählt auf einzigartige Weise von dem schmerzlichen Moment der Gewissheit, in dem wir erkennen, dass nichts mehr so sein wird wie zuvor. Ein Roman über die Kraft des Verstehens und die Melancholie des Verlusts.
Lieselotte Stalzer –
Die Sonne brennt flirrend heiß auf die Insel Pantelleria. Das Meer unterhalb der Felsen wird von Quallen heimgesucht, wo Tina sie mit einem Kescher aus dem Wasser zieht und auf den Steinen austrocknen lässt. Tina ist acht Jahre alt, von den meisten wird sie für einen Jungen gehalten. Nach der Trennung der Eltern, sind dies die ersten Ferien, die sie und ihre Zwillingsschwester mit ihrer Mutter alleine verbringen.
Die weit vom europäischen Kontinent entlegene karge Insel, ist der Schauplatz, in dem wenige Figuren außerhalb ihrer üblichen Lebensgewohnheiten agieren müssen. Die Figuren sind in ihrem Warten auf etwas oder dem Vergessen von etwas lose miteinander verbunden und bilden einen in sich geschlossenen Kosmos.
In diesem „intimen“ Rahmen verdichten sich die Charakterzüge der Erwachsenen. Die Schwestern Tina und Bea erleben die in sich geschlossene Welt auf unterschiedliche Weise. Während Tinas Habitus dem eines Kindes entspricht und sie sich auf die Welt der Erwachsenen einen Reim zu machen versucht, steckt ihre Zwillingsschwester schon in der Pubertät und testet ihre weiblichen Reize.
Das sehr lesenswerte Buch streut sehr geschickt Hinweise auf andere literarische Werke ein, so zum Beispiel in einem Dialog über die Namensgebung der beiden Kinder, die eigentlich Lottie und Kezia hätten genannt werden sollen, wie die beiden Mädchen in Katherine Mansfields Erzählung „An der Bucht“. Torinos Tina erinnert etwas an Kezia, wenngleich auch andere Charakterzüge hinzukommen.
Anders als viele Romane, kommt „Über mir die Sonne“ ohne klassische Gestaltungsmittel (z.B. Spannungsaufbau und Auflösung) aus. Er lebt vielmehr durch die (fast) schnörkelfreie Darstellung der Wirklichkeit für jede der handelnden Personen.
Wie immer kommt dem Übersetzer eines Buches eine nicht zu unterschätzende Rolle zu. Johannes von Vacano hat nicht nur den Inhalt sondern auch die Stimmung hervorragend ins Deutsche übertragen.
Zwischen Rosmarin und Kapernblüten, ein eindrucksvoller Roman, den man gerne ein zweites Mal liest.