Im Licht der Zeit
»Niemand im Raum hätte sagen können, ob ihre Laszivität nur gespielt war, ob Marlene sie angedreht hatte wie einen Lichtschalter, oder ob sie Sternberg tatsächlich im nächsten Moment küssen würde. Nicht einmal sie selbst wusste es. Vollmöller und Pommer hielten den Atem an.«
Frühjahr 1929: Alle Welt redet nur noch vom Tonfilm, der in Amerika längst die Kino-Paläste erobert hat. Deutschland aber droht den Anschluss zu verlieren. Nun soll die mächtige Ufa das Land zurück an die Spitze führen, koste es, was es wolle. Ein halbes Jahr später hat der geniale Karl Vollmöller fast alles beisammen: das modernste Tonfilmstudio, einen grandiosen Stoff, den gefeierten Oscar-Preisträger Emil Jannings, der soeben glorreich aus den Vereinigten Staaten zurückgekehrt ist, und den perfekten Regisseur. »Der blaue Engel« wird nicht einfach nur ein Tonfilm sein, er wird ein neues Zeitalter einläuten, davon ist Vollmöller überzeugt. Nur die Hauptdarstellerin fehlt noch. Wer soll die abgründige Figur der Rosa Fröhlich verkörpern, die den biederen Professor ins Unglück stürzt? Etwa Marlene Dietrich? Als Revuegirl ist sie eine Klasse für sich, sie bietet Leichtigkeit, Unterhaltung, zeigt nackte Haut. Aber sie besitzt keinerlei schauspielerisches Talent!
»Im Licht der Zeit« ist der Roman einer kurzen, rauschhaften Epoche, er ist die Geschichte des »Blauen Engels«, der alle Beteiligten zu legendären Figuren des deutschen Films gemacht hat: Edgar Rai erzählt diese Geschichte mit einer beispiellosen Wucht, Originalität und Bildhaftigkeit.
Lieselotte Stalzer –
Emil Jannings, der Oscar Preisträger, ist aus zahlreichen Filmen bekannt und ein Star. Als er Ende der 1920er Jahren aus Amerika nach Deutschland zurückgeholt wird, erfährt die Filmindustrie gerade einen bahnbrechenden Umbruch vom Stumm- zum Tonfilm. Auch der Typ der Schauspielerinnen ändert sich. Henny Porten, lange Zeit der Stummfilmstar, der die tugendhafte deutsche Frau verkörpert, wird durch den Typ der selbstbewussten Frau, Marlene Dietrich, verdrängt.
„Diese Beine werden es noch weit bringen!“ Nicht Schauspielerin soll Marlene werden, sondern Tänzerin; und als Revuegirl und Chansonnière feiert sie einige Erfolge. Aber sie spürt, dass ihre Karriere nicht mehr lange dauern wird, schließlich ist sie mit 28 Jahren nicht mehr die Jüngste in diesem Beruf. Durch Zufall wird sie von Josef von Sternberg entdeckt, der sie für den ersten internationalen deutschen Tonfilm „Der blaue Engel“ engagiert. Der Film wird ein Erfolg, nach der Premiere reist sie nach Hollywood ab und wird in Amerika der neue Star der Paramount.
Der Film, gedreht nach der Romanvorlage „Professor Unrat“ von Heinrich Mann wird in den neuen Tonstudios der UFA gedreht und von dessen Boss Hugenberg finanziert. Waghalsig täuschen die Produzenten und Drehbuchautoren ihn, denn die lasziven Szenen mit Marlene Dietrich hätte et sicher nicht zugelassen und das Filmprojekt gestoppt.
Die Spannung, die Edgar Rai gleich einem Drehbuchautor und Regisseur aufbaut, entsteht durch sorgfältig gezeichnete Charaktere Treffen diese aufeinander erzeugen sie erotisches Knistern oder erbitterte Todfeindschaft. Die atmosphärisch dichten Szenen sind bemerkenswert, finden sie doch auch in der Handlung und nicht nur am Filmset statt.
Der Titel „Im Licht der Zeit“ verweist zunächst auf den bahnbrechenden Wechsel in der Filmindustrie, die durch den Einsatz der Tontechnik eine fulminante Modernisierung erfährt. Der Roman spricht aber noch eine weiter Licht-Zeit-Ebene an. So stellt Edgar Rai, der ausgezeichnet recherchiert hat, jedem Kapitel Zeitungsausschnitte voran, die im Laufe der Handlung einen bedrohlichen Unterton annehmen und den Aufstieg der Nationalsozialisten dokumentieren. „Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen“.
Was ist wahr, was hat Edgar Rai erfunden? In weiten Teilen des Buches erzählt der Autor die Geschichte authentisch. Seiner dichterischen Freiheit ist es zu verdanken, dass man sich im Berlin der 1920er Jahre glaubt, so unwohl man sich auch an manchen Stellen dabei fühlen mag.
Allein das Making Of des berühmten Films „Der Blaue Engel“ wäre als Vorlage ausreichend für einen fesselnde Geschichte gewesen, eine in sich abgeschlossene Welt, in die man eintauchen kann. Mit den politischen Zitaten und Statements aus den 1920er Jahren hat der Autor die zeithistorische Einordnung dieses Films nicht gescheut. Unbedingte Leseempfehlung.
Andrea Meyer –
Edgar Rai: Im Licht der Zeit
Absolut lesenswert!
Ein Roman über die Entstehung des Films ‚der blaue Engel‘ nach Heinrich Manns Roman ‚Professor Unrat‘.
Produktionsfirma: UFA, Drehort: Neubabelsberg (heute Babelsberg) in Potsdam, Regisseur: Josef von Sternberg, Schauspieler: Marlene Dietrich, Emil Jannings, Hans Albers (u.a.), Uraufführung: 1930 in Berlin im Gloria-Palast
Der Film war einer der größten Erfolge der UFA. Der Roman von Edgar Rai über diesen Film eines meiner absoluten Lieblingsbücher des letzten Jahres!
Ein großartiges Buch und eine klare Empfehlung an alle, die sich für Kinogeschichte und / oder die Zeit der Weimarer Republik interessieren.
Dabei ist der Einstieg nicht unbedingt leicht, eine Affäre zwischen Marlene Dietrich und dem großen Star des deutschen Stummfilms, Henny Porten. Sehr persönlich, sehr nah und nach meinem Geschmack fast ein bißchen zu sehr auf die subjektive Sicht Marlene Dietrichs konzentriert. Doch dann dreht der Roman auf, erzählt atmosphärisch dicht und spannend die verrückte Geschichte der Entstehung eines Films, der das Ende des Stummfilms in Deutschland einleitete, zu einer Zeit, in der die deutschsprachigen Studios den amerikanischen Studios in Qualität und Rang um nichts nachstanden.
Doch es ist nicht nur die Geschichte eines der erfolgreichsten Filme der frühen Kinogeschichte, es ist auch eine Geschichte über die Weimarer Republik und die Schatten, die die NS-Zeit vorauswarf. Es ist eine Geschichte über die Beteiligten der Filmproduktion, über Animositäten, Ehrgeiz, Beziehungen, Intrigen. Und es ist vor allem auch die Geschichte des Tausendsassas Karl Gustav Vollmoeller, der nicht nur am Drehbuch mitschrieb, sondern der es wie ein Marionettenspieler mit viel Geschick und Dreistigkeit verstand, den Film gegen alle Widrigkeiten entstehen zu lassen.
Interessant, spannend, atmosphärisch dicht und oft auch sehr amüsant. Absolut lesenswert!